BEI OTTO

  • Ausstellungsansicht Memory Lab, Martin Gropius Bau, 2014

Ausstellungsansicht Memory Lab, Martin Gropius Bau, 2014

Bei Otto.
Mit dem österreichischen Aktionskünstler und rechtskräftig verurteilten Kinderschänder Otto Muehl assoziiert man heute dreierlei: Kunst, Kommune und Missbrauch.
In den sechziger Jahren wütete Muehl als Wiener Aktionist mit Blut und Kot gegen das Tafelbild. In den Siebzigern erklärte er sein gesamtes Leben zur Kunst und schuf als Chef der „Aktions-Analytischen Organisation“ einen Lebenskult der freien Liebe. Der endete in den Achtzigern in Tyrannei und Muehl folgerichtig 1991 im österreichischen Gefängnis – verurteilt wegen Beischlafs mit Minderjährigen.
Vom dem, was an diesem Ort vorfiel, erfahren die Gäste nichts. „Eltern-Kind-Urlaub hat hier einen ganz besonderen Charme“, wirbt das „familienfreundliche“ Hotel El Cabrito. Die ehemalige Bananenplantage liegt an einem der schönsten Stellen von La Gomera; nur mit dem Boot gelangt man zu der idyllischen Bucht im Südosten der Kanaren-Insel. Kaum einer der Urlauber, die nach El Cabrito kommen, um sich ökologisch korrekt und unter gleichgesinnten Menschen zu erholen und dabei die Kinder in ganzheitlicher Atmosphäre versorgt zu wissen,was sich dort im Namen einer besseren Lebensform abspielte.
Die meisten wollen es wohl nicht wissen, denn dass der Aktionskünstler und Kommunegründer Otto Mühl 1987 aufgrund von Tschernobyl das Areal erwarb und mit bis zu 350 Anhängern hier in einer Welt nach eigenen Regeln lebte, wird von den heutigen Besitzern nicht verschwiegen. Nicht gesprochen wird über den sexuellen Kindesmissbrauch, der sich auf dem Friedrichshof, dem Stammort der Kommune, aber auch in El Cabrito jahrelang abspielte. Die Betreiber des Öko-Resorts gehörten früher selbst zur Mühl-Gemeinde, bevor diese sich im Streit 1990 auflöste und El Cabrito in genossen-schaftlichem Besitz an Altkommunarden überging.
Stephanie Kloss beschäftigte sich im Gegensatz zu den anderen Gästen mit der vergifteten Vergangenheit des Ferienparadieses. Und sie tat das, was ihre künstlerische Arbeit ausmacht: Sie fotografierte Natur, Landschaft und Architektur. Es wurden Bilder der verdeckten, vor allem aber der fehlenden Spuren. Wer Kloss’ Werk kennt, vermisst ihre traumhaften, auch romantisch aufgeladenen Ansichten, die zuweilen so perfekt, fast künstlich erscheinen, das man digitale Manipulationen unterstellt.
Doch Mühls Kommune-Paradies, eine Utopie der idealen Gesellschaft, das für die Kinder zur Hölle wurde, sperrte sich gegen diese ästhetische Methode. Dafür ist die Landschaft zu pittoresk, sind die Baulichkeiten in El Cabrito zu banal, die Erinnerungen an das Geschehene zu unsichtbar. Eine Palme, die sich im Wasser spiegelt, Blicke auf die kargen Bergformationen oder das glitzernde Meer, die wuchernden subtropischen Pflanzen, die banalen Bungalows aus Fertigteilen, die für die Mühl-Anhänger hochgezogen wurden, oder das restaurierte Herrenhaus mit den Spuren von bemalten Händen während der künstlerischen Selbsterfahrung: Nichts deutet auf den Despotismus, den Mühl besonders in der Endphase der Kommune entfesselte, nichts auf die Selbstzerfleischung der Mitglieder, die bald darauf zum endgültigen Scheitern dieser Vision eines neuartigen, von allen gesellschaftlich-moralischen Zwängen befreiten Lebens führte.
Genauso wenig, wie man vor Ort etwas davon sieht, verraten Kloss’ Bilder, dass auf den Terrassen mit den vergammelnden Möbeln, im Spielteich mit der Rutsche oder in den Hütten, wo die „freie“ Liebe mit verordneten Sexpartnern praktiziert wurde, ein sozialutopisches Lebensexperiment in Machtwahn und Gruppenterror endete. Kinder wurden ihren Eltern weggenommen und entfremdet, peinigenden Disziplinierungsritualen ausgesetzt und mussten Mühl sexuell zu Diensten sein. In El Cabrito liegt ein Mantel des Schweigens über diesen Verbrechen, für die Mühl 1991 in Österreich zu siebenjähriger Haft verurteilt wurde. Genau von diesem Vergessen handeln die Bilder der „Urlaubs-Diashow“ von Stephanie Kloss.
Sebastian Preuss